Montag, 20. März 2017

Niroz Malek: Der Spaziergänger von Aleppo

Quelle: Pixabay / klimkin

Niroz Malek lebt in Aleppo. Immer noch. Viele seiner Landsleute haben bereits ihre kriegsgebeutelte Heimat verlassen und sind ins Ausland geflüchtet. Nicht so Niroz Malek. Was ihn von einer Flucht abhält ist die Liebe .... zu seinen Bücher, zu seiner Musik und zu seinem Land.
Niroz Malek beschreibt in seinem Buch "Der Spaziergänger von Aleppo" in 57 Episoden seinen Alltag, seine Ängste, seine Träume und seine Erinnerungen.

Syrische Flüchtlingsfamilien sind längst Bestandteil unseres deutschen Alltags geworden. In den Medien wird man täglich mit Bildern aus dem Krisengebiet Syrien konfrontiert. Sicher, die Bilder sind schrecklich. Aber wie schrecklich ist es erst, einen Krieg am eigenen Leib zu erfahren? Für die meisten von uns ist dies unvorstellbar. Es gibt nur noch wenige, die den 2. Weltkrieg miterlebt haben und sich daran erinnern, welche Gräuel mit einem Krieg verbunden sind. Wir anderen können es nur erahnen. Insofern lässt uns Niroz Malek durch seine Erzählungen an einem Leben teilhaben, das wir hoffentlich niemals erleben werden.

Seine Sammlung von - der Verlag nennt es treffend - "Miniaturen" entführt uns in den Alltag des Autors. Seiner Welt sind Grenzen gesetzt, die immer enger gezogen werden. Schon längst kann er sich nicht mehr frei in der Stadt bewegen. Jeder Gang wird zu einem Risiko für das Leben. Der Feind, der sein Leben bedroht, wird verkörpert von den sogenannten Checkpoints. Dies sind militärische Stützpunkte auf den Straßen Aleppos, die scheinbar willkürlich eingerichtet werden. Niroz Malek fühlt sich von diesen Checkpoints belauert. Als Leser zieht man unweigerlich den Vergleich zu einer Meute wilder Tiere, die auf Beutejagd geht.
"Aber wenn die Umstände mich zwingen, aus dem Haus zu gehen, dann muß ich notgedrungen an Dutzenden Checkpoints der Sicherheitskräfte vorbei; ich begegne Hunderten vermummten Männern, die nichts mit diesem Land verbindet, sondern die zu einer dir fremden Welt gehören! Sie halten dich ganz unvermittelt an, kriechen in deine Taschen, durchsuchen sie aus Angst davor, dort könnte irgendeine Bande stecken oder ein mit Sprengstoff beladenes Auto, ..." (S. 63)
Maleks Wohnung ist sein Zufluchtsort. Hier lebt er inmitten seiner Bücher und Musik, freut sich an Erinnerungen und schreibt. Hier schöpft er die Kraft, um dem Kriegsalltag mit neuem Mut zu begegnen.

Seine Miniaturen sind Briefe an seine Tochter, Nacherzählungen seiner Träume, Berichte über den Alltag. Er vermischt Wirklichkeit, Erinnerung und Fantasie. Gerade die Briefe an seine Tochter, die vor einigen Jahren mit Mann und Kindern das Land verlassen hat, verdeutlichen seine Einsamkeit. Er hat sie und seine Enkelkinder seit Jahren nicht mehr gesehen.

Die Menschen, von denen der Autor berichtet, sind alte Weggefährten, Nachbarn und Zufallsbekanntschaften. Viele leben noch, andere sind bereits gestorben. Unweigerlich setzt sich Malek in seinen Miniaturen mit dem Tod auseinander. 

Trotz der permanenten Bedrohung zieht es Malek in die Straßen von Aleppo. Er versucht, einen geregelten Alltag zu führen und hält an Gewohnheiten aus der Zeit vor dem Krieg fest. So sucht er regelmäßig die Cafés auf, trifft sich mit Freunden und versucht so, ein Stück Normalität zu bewahren.
Doch die Freunde werden immer weniger. Viele sind vor dem Krieg geflohen, andere wiederum sind gestorben - erschossen oder bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen.

In diesem Buch fällt häufiger der Satz "Das Schreiben über diesen Krieg ist schmerzhaft, sehr schmerzhaft." Und man kann Malek verstehen. Sein Leben in Aleppo ist von Schmerz geprägt. Schmerz durch den Verlust von Freunden, Schmerz durch den Verlust eines einst glücklichen Alltags, Schmerz durch die Zerstörung seiner Heimat.
Doch das hält ihn nicht davon ab, sich an den kleinen Dingen in seinem Leben im Kriegsgebiet zu erfreuen. Das Elend und die Bedrohung um ihn herum, haben seinen Blick für diese kleinen Dinge geschärft. Und solange es ihm gelingt, an diesen Dingen festzuhalten, bleibt ihm die Hoffnung, dass eines Tages wieder Frieden in seinen Alltag einkehrt.
Und ich wünsche ihm aus tiefster Seele, dass er diesen Tag erleben wird.

Maleks Buch endet mit einem Nachwort, das er im Dezember 2016 verfasst hat. Allein dieses Nachwort ist es wert, dieses beeindruckende Buch zu lesen. Der Syrer beschreibt die Hintergründe dieses fürchterlichen Krieges in seinem Land. Er beschreibt, was dieser Krieg aus ihm und seinen Landsleuten gemacht hat. Die Gefühlslage des Autors trifft den Leser dabei mit voller Wucht. Das Buch endet mit folgenden Worten:
"Zum Schluß wünsche ich mir, daß dieser bis heute andauernde Krieg endet. Ich wünsche mir, daß jeder Syrer in seine Heimat zurückkehrt, in seine Stadt, sein Dorf, sein Haus. Daß die Syrer ihr Land wieder aufbauen. Daß sie Gräber ausheben, um ihre Toten angemessen zu bestatten, die Toten beider Seiten des Konflikts, und daß sie vor jedem Grab eine hochaufragende Zypresse pflanzen und diese mit einem Blumenbeet umgeben. Und daß der Frieden Einzug hält." (S. 136 f.)
Dem möchte ich nichts mehr hinzufügen.

© Renie





Über den Autor:
Niroz Malek wurde 1946 in Aleppo geboren. Er hat bislang acht Bände Erzählungen und sechs Romane veröffentlicht. Der Spaziergänger von Aleppo erschien zuerst auf französisch bei Le serpent à plumes. Das Buch wurde mit dem Prix Lorientales 2016 ausgezeichnet und inzwischen auch ins Schwedische übersetzt. (Quelle: Weidle)