Freitag, 10. Februar 2017

Hella S. Haasse: Der schwarze See

Quelle: Pixabay/AmberAvalona

Hella S. Haasse beschreibt in ihrem wundervollen Roman "Der schwarze See", der erstmalig 1948 veröffentlicht wurde, eine Freundschaft, die es nicht geben durfte. Dabei entführt sie uns in ein exotisches Land: In den 20er/30er Jahren gehört Java zur niederländischen Kolonie "Niederländisch Indien". Eine Minderheit von Kolonialherren herrscht seit Hunderten von Jahren über die indonesische Bevölkerung.* Auf einer Plantage wachsen zwei Jungen auf. Einer von beiden ist der Sohn des niederländischen Plantagenbesitzers. Der andere ist Urug, der Sohn des eingeborenen Aufsehers der Plantage. Beide Jungen sind gleichaltrig und kennen sich von Geburt an. Inmitten der kolonialen Gesellschaft verbringen die beiden eine unbeschwerte und sorgenfreie Kindheit. Denn Kinder kennen keinen Standesdünkel, für sie verursacht eine andere Hautfarbe Staunen, aber niemals Ablehnung. 
"Es kam mir nie in den Sinn, an der vollkommenen Gleichberechtigung von Urug und mir zu zweifeln, Obwohl ich mir - wenn auch vielleicht nur halb durchlebt - in Bezug auf den Hausboy, die Babu und Danuh, den Gärtner, eines Unterschieds in Rasse und Rang bewusst war, war Urugs Existenz so mit der meinen verwachsen, dass ich im Hinblick auf ihn diesen Unterschied nicht empfand." (S. 38)
So ist es kein Wunder, dass die beiden Jungen auf der Plantage Freunde werden. Gleichaltrig, kaum andere Spielkameraden in der Nähe ... da ist eine Freundschaft vorprogrammiert. Doch je älter die Kinder werden, umso mehr holt sie die hässliche Realität ein. Insbesondere Urug wird schnell deutlich gemacht, dass er einen Makel hat: er ist der Sohn eines Eingeborenen. Das macht ihn von Geburt an minderwertig gegenüber dem weißhäutigen Sohn eines Kolonialherren. So sehen es die Erwachsenen. Urug lernt schnell, wo sein Platz in der Gesellschaft ist.

Der Sohn des Plantagenbesitzers gibt die Geschehnisse rückblickend aus seiner Sicht wieder und bleibt dabei selbst namenlos. Er erinnert sich an die gemeinsame Kindheit, die Anfänge der Freundschaft und an das, was aus dieser Freundschaft geworden ist.

Quelle: Lilienfeld Verlag
Solange die Jungen auf der Plantage sind, ist ihr Umgang miteinander sehr unbeschwert. Erst, als sie in die große weite Welt hinaus müssen, kommt ihre Freundschaft auf den Prüfstand. Die beiden Jungen verlassen die Plantage, um in der nächst größeren Stadt, zur Schule zu gehen und dort zu leben. Ihrem gesellschaftlichen Status entsprechend kommen sie auf unterschiedliche Schulen. Von jetzt an werden die Jungen feststellen, dass ihre Freundschaft immer weiter auseinander driftet.

Sie entfremden sich voneinander und Dinge, die vorher keine Rolle in ihrer Freundschaft gespielt haben, stehen auf einmal zwischen ihnen. Die Erwachsenenwelt hat sie eingeholt. Herkunft und Hautfarbe bestimmen auf einmal ihre Freundschaft.
"Weder Kleidung noch Attitüde konnten ihn zu dem machen, als was er erscheinen wollte: einer von uns." (S. 95)
Die Art und Weise wie Hella S. Haasse diese Geschichte erzählt, hat mich berührt. Sie vermittelt eine zutiefst melancholische Stimmung in einer exotischen Szenerie. Ihr Sprachstil ist klar strukturiert und überzeugt durch seine wohltuende Schlichtheit.
Trotzdem dieses Buch bereits vor über 70 Jahren geschrieben wurde, verblüfft der Text durch eine zeitlose Sprache, was vermutlich auch auf die Übersetzung durch Gregor Seferens zurückzuführen ist, der auch andere niederländische Autoren wie Harry Mulisch oder Maarten t'Haart übersetzt hat. Von Gregor Seferens stammt auch das sehr informative Nachwort zu "Der schwarze See", indem er u. a. sehr intensiv auf die damalige politische Situation in Java eingeht.

Fazit:
Für mich war dieser Roman ein "Entschleunigungsbuch": ein exotischer Schauplatz, eine melancholische Stimmung, eine berührende Geschichte ... und schon taucht man ab in eine Szenerie, die einen den Alltag vergessen lässt. Leseempfehlung!

© Renie



*Die Kolonialherrschaft endete erst Mitte/Ende der 40er Jahre.




ISBN: 978-3-940357-57-1



Über die Autorin
Hella S. Haasse, geboren 1918 in Batavia (dem heutigen Jakarta), steht in den Niederlanden als Autorin in der ersten Reihe der modernen Klassiker. Sie debütierte 1945 mit einem Gedichtband; aber schlagartig berühmt wurde sie 1948 mit ihrem ersten Roman „Der Schwarze See“ (im Original: „Oereog“), der seitdem mehr als fünfzig Wiederauflagen erlebte, in elf Sprachen übersetzt und 1993 auch verfilmt wurde. Ihr Gesamtwerk umfasst viele weitere Romane, Erzählungen, Autobiographisches und Essays. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.?a. 1983 den P. C. Hooftprijs (den niederländischen Staatspreis für Literatur), 2000 das Kreuz der französischen Ehrenlegion und 2004 den Prijs der Nederlandse Letteren. 2011 starb Hella Haasse mit 93 Jahren in Amsterdam. 

Mehr Informationen zu ihrem Leben und ihrem Werk unter www.hellahaassemuseum.nl