Donnerstag, 26. Januar 2017

David Garnett: Mann im Zoo

Quelle: Pixabay / Antranias
Da streiten sich zwei Liebende und am Ende landet einer von den beiden als Ausstellungsobjekt im Zoo. David Garnett hat in seinem Roman "Mann im Zoo" ein Szenario entwickelt, das, so unglaublich wie es ist, doch einen gewissen Reiz ausübt.

Der Roman beginnt mit einem Besuch in besagtem Zoo. Der Leser kommt dabei in den unterhaltsamen Genuss, dem Streit zweier Liebender beizuwohnen. Josephine und John haben jeder für sich einen starken Willen, den sie mit aller Macht durchsetzen wollen. Keiner will nachgeben, denn Nachgeben bedeutet, dem anderen gegenüber schwach zu sein. Unvorstellbar für zwei Charakterköpfe wie Josephine und John.

Worum es bei dem Streit geht? Er verlangt von ihr, dass sie sich zu ihm bekennt und sich von allen anderen, die ihr wichtig sind, lossagt. Aus "Liebe", versteht sich!
"Entweder du liebst mich oder du liebst mich nicht. Wenn du mich liebst, wird dir der Preis, die anderen für mich zu opfern, nicht zu hoch sein." (S. 16)
Tja, John scheint ein merkwürdiges Verständnis von einer Beziehung zu haben. Wen wundert es, dass Josephine sich mit allem, was sie hat, zur Wehr setzt. Frau ist doch nicht übergeschnappt!
Mit Vernunft ist John nicht beizukommen. Stur bleibt stur. Stattdessen greift er einen nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag der, bis auf's Blut gereizten Josephine auf: 
"Du bist Tarzan bei den Affen; du gehörst in den Zoo. Die Sammlung hier ist nicht vollständig ohne dich." (S. 17)
Quelle: Kirchner Kommunikation 
Und schon setzt er diesen Vorschlag in die Tat um. Denn
"dieser Mann war ebenso stolz wie störrisch, weshalb er im Affekt Beschlossenes so weit trieb, bis es kein Zurück mehr gab." (S. 19)
Aber verstehe jemand die Frauen. Josephine stürzt von einem Gefühlschaos ins nächste: Wut, Verzweiflung, Sorge, Sehnsucht, mal verflucht sie ihn, mal will sie ihn wieder haben. Am Ende kann sie nicht ohne ihn.

Was bringt jemanden dazu, sich wie ein Tier im Zoo ausstellen zu lassen und das am Ende noch zu genießen? Denn genau das passiert mit John. Anfangs ist dies eine ungewohnte Situation, die er jedoch aufgrund der Regeln und Bedingungen, die er für seinen Aufenthalt mit der Zoodirektion ausgehandelt hat, bestens meistert. Er ignoriert die Zoobesucher weitestgehend, hat sogar eine Rückzugsmöglichkeit, die ihm ein wenig Privatsphäre garantiert. Zu Beginn stehen die Zoobesucher Schlange, um ihn zu begaffen. Doch wie bei so vielen Attraktionen lässt das Interesse an ihm mit der Zeit nach.
"Ihn zogen stets jene Tiere im Garten an, die sich nicht um ihre angeborene Wildheit hatten bringen lassen. In seiner verzerrten Wahrnehmung kam es ihm vor, als hätten sie sich ihre Selbstachtung bewahrt." (S. 78 f.)
John's Leben im Zoo garantiert ihm ein hohes Maß an Individualität. Es ist ihm ein Graus, in der breiten Masse unterzugehen, sich fremden Regeln zu unterwerfen und sein Leben nach anderen auszurichten. Wieviel Komfort bietet ihm da der Zoo: die Alltagsregeln hat er selbst definiert, er muss sich nicht mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen, kann in seiner kleinen Welt tun und lassen, was er will. Wenn da nur nicht die Liebe wäre.

Fazit:
David Garnett hat mit seinem Buch „Mann im Zoo“ einen kleinen, aber feinen Roman geschrieben, der viele philosophische Interpretationsansätze liefert. Dabei zeichnet er sich durch eine sehr lebhafte Sprache aus, die das Lesen sehr kurzweilig und unterhaltsam macht. Stellenweise ist der Roman sehr komisch, fast schon grotesk, dann wieder stimmt er sehr nachdenklich. Sein Leben nach den eigenen Regeln leben zu können, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen, ohne sich gesellschaftlichen Zwängen zu unterwerfen – ein reizvolles Szenario. Aber letztendlich ist der Mensch ein Herdenvieh und kann nicht ohne andere, wie der Roman am Ende beweist.

© Renie


ISBN: 9783038200406

Über den Autor:
David Garnett, am 9. März 1892 in Brighton geboren, war Schriftsteller, Buchhändler, Verleger, Kritiker und Mitglied der »Bloomsberries«. Dame zu Fuchs (1922) war der erste Roman, den David Garnett unter eigenem Namen veröffentlichte. Er erhielt dafür mehrere Preise. In zweiter Ehe war er mit Angelica Bell verheiratet, der Tochter seiner Freunde aus der Bloomsbury-Gruppe, den Malern Vanessa Bell und Duncan Grant, mit denen er eine Zeit lang in Charleston Farmhouse zusammengelebt hatte. Duncan Grant ist dieser Roman auch gewidmet. David Garnett verstarb am 17. Februar 1981. (Quelle: Dörlemann)